Die drei jungen Leute, die in dem kahlen Zimmer abhängen, rauchen eine Zigarette, die verboten riecht. Die 15-jährige Ljubica Ilić (Nicola Kirsch), an der zwei Burschen herumzufummeln versuchen, fragt, ob sie demonstrieren gehen sollen. Denn der Habsburger Thronfolger Franz Ferdinand, der eben Truppeninspektionen im annektierten Bosnien durchführt, wird mit seiner Frau durch Sarajewo fahren. Ljubica schildert den Erzherzog als schießwütig und gemein – als Besatzer eben. Der recht einfältige Lackel Nedeljko Čabrinović (Simon Zagermann) und der etwas mehr zum Nachdenken neigende Gavrilo Princip (Martin Vischer), beide gerade noch Teenager, winken ab. Sie haben bereits etwas vor: „Morgen müssen wir...“, sagt Čabrinović und beginnt laut Anweisung im Text zu lachen, „...den Ferdinand umbringen!“ Da haben sie sich dann doch einen Kuss von dem begehrten Mädchen verdient. Die Liebelei fällt anscheinend schwerer als ein Mord.


Immer wieder: Kennedy in Dallas
Dies ist ein Höhepunkt in Biljana Srbljanovićs Drama „Princip (Dieses Grab ist mir zu klein)“, das sie im Auftrag des Wiener Schauspielhauses verfasst hat und das am Mittwoch unter der Regie von Michał Zadara uraufgeführt wurde. Bis zu dieser Szene vermag das 140 Minuten dauernde Stück tatsächlich zu fesseln. Gespielt wird im weißen Raum, an die Wände werden historische Fotos, Zitate und nachgestellte Bilder projiziert. Auch das Attentat auf John F. Kennedy 1963 in Dallas ist mehrfach zu sehen – die kurze Sequenz, als dem US-Präsidenten im offenen Wagen der Hinterkopf weggeschossen wird. Das Spiel wird ernst, es zeigt sich die Brutalität ideologischen Wahns. Auch Verweise auf das zerfallende und bereits zerfallene Jugoslawien, bis hin zu einem Zitat des 2003 ermordeten serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjić, verdeutlichen das.
Obwohl der Text zuweilen gestelzt wirkt, lohnt es sich, die berühmte Geschichte aus der Perspektive anarchistisch und nationalistisch gesinnter Fanatiker zu sehen, zu denen auch der Offizier Dragutin Dimitrijević Apis (Florian von Manteuffel) gehört. Er verführt die Jugend zum Terror. Verräterisch und ernüchternd sieht das aus. Ljubicas älterer Bruder Danilo (Gideon Maoz) wird zu seinem Gefolgsmann, er gibt die Waffen weiter. Apis kann sich bei ihm kaum zurückhalten mit seinen homophilen Avancen. Die fünf Darsteller sparen nicht an der Zurschaustellung von Gefühlen. Sie spielen das mit leicht ironischem Engagement. Dieses Ensemble macht einen guten, sicheren Eindruck. Doch das Stück hat leider ein Nachspiel, das nicht nur todernst, sondern seltsam sentimental ist: Srbljanović verfolgt das Schicksal der Attentäter bis zu deren Tod, sie erklärt umständlich das Leid im Gefängnis, das Räsonieren des erbärmlichen Offiziers und den fortgesetzten Wahn der Jungen.


  Todkrank in Theresienstadt
Selbst die Regie flüchtet nun in allerlei Ablenkung, vor allem musikalisch. Es dröhnt. Ab geht es anscheinend in die Unterwelt. Tote erscheinen, auch als helle Umrisse in Filmszenen an der Seite. Am Schluss sieht man Princips weiteres Schicksal, der nicht hingerichtet wurde, weil er noch minderjährig war. Er stirbt 1918 in Theresienstadt an Knochentuberkulose. Die Assoziationen dazu muss der Zuseher gar nicht erst machen, sie werden ihm sofort erklärt. Dieser kurze Teil, nach einer fast ebenso langen Pause, ist entbehrlich. Er versucht, den Ersten Weltkrieg und das weitere Schicksal Jugoslawiens wortreich zu verbinden. Aber die Luft ist draußen. Was als interessante psychologische Studie begann, endet nun sonderbar im Pathos. Schade! Der platte Schluss lässt fast vergessen, wie raffiniert die Autorin und der Regisseur zuvor sein konnten.

ZUR PERSON

Biljana Srbljanović, 1970 in Belgrad geboren, zählt zu den erfolgreichsten Dramatikern der Gegenwart. Ihre Stücke wurden in 80 Sprachen übersetzt. Bereits ihr 1995 verfasstes, erstes Drama, die 1997 uraufgeführte „Belgrader Trilogie“, sorgte weltweit für Aufsehen. Auch mit ihren Essays reüssierte die Autorin, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Sie lebt in Paris.
Michał Zadara, 1976 in Warschau geboren, ging in Wien zur Schule, studierte in den USA, kehrte 2001 nach Polen zurück. Er war als Regisseur u. a. in seiner Heimat, in Israel, Deutschland und Österreich tätig. Im Wiener Schauspielhaus hat er bereits inszeniert: 2010 wurde „Bruno Schulz: Der Messias...“ uraufgeführt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2013)