Es hört sich harmlos an, ist aber abgründig und zutiefst melancholisch. Die "Geschichten aus dem Wienerwald", das bekannteste Theaterstück von Ödön von Horvath. Der Österreicher HK Gruber hat es vertont und nach der Uraufführung zu den Bregenzer Festspiele vor zwei Jahren feierte es am Sonntag an der Komischen Oper Premiere. Barbara Wiegand hat sie sich angesehen. Ihr Fazit: Ein bedrückend zeitgemäßes Stück, dem ein paar Zwischentöne mehr gut getan hätten.


Erich Kästner nannte Horvaths "Geschichten aus dem Wiener Wald" einst ein 'Volksstück gegen das Wiener Volksstück': Ein Stück, das mit der Wiener Gemütlichkeit aufräumt – und eine junge Frau der Enge und Eiseskälte einer zutiefst spießbürgerlichen Gesellschaft rückhaltlos ausliefert. Sie, die gewagt hat, von der Liebe zu träumen, die ihren Bräutigam für einen anderen verlässt und von ihm verlassen wird, weil sie und das gemeinsame Kind ihm zum Klotz am Bein geworden sind.


Mut zur wilden Mischung


In seiner Inszenierung für die Komische Oper hat Michal Zadara die "Geschichten aus dem Wiener Wald" nach Berlin verlegt: Statt an der blauen Donau Walzer zu tanzen, grillt man am Ufer der Spree, um Verlobung zu feiern - von Marianne mit dem Metzgermeister Oskar. Ein Golf Cabrio, ein alter Daimler und ein Opel Manta sind die Statussymbole einer materialisierten Gesellschaft. Und auch sonst ist das Konterkarieren, das Überspitzen und Ironisieren gern Zadaras Mittel der Wahl: Mariannes konservativer Vater tritt als Rocker auf, die ach so kultivierte Wiener Gesellschaft hört Puccini aus dem Ghetto-Blaster und schwingt dazu exzessiv die Hüften.


Konterkarieren, überspitzen, ironisieren, das findet sich auch in der Musik von HK Gruber wieder. Mit dem Mut zur wilden Mischung lässt er volksliedhafte Anklänge auf atonale Schrägen abgleiten, setzt mit Synkopen dem Sprachrhythmus bei Horvath noch eins drauf und steigert das Ganze mit an Strawinsky erinnernden, vorwärtstreibenden Passagen ins Groteske. So ist die Komposition eine ziemlich konsequente Vertonung der für die Oper stark gekürzten Vorlage von Horvath. Mit ihr blickt man drauf auf diesen aus der Wirtschaftskrise der späten 1920er-Jahre heraus entstandenen Text und taucht doch ein – in dessen doppeldeutige Phrasen.


Das musikalische Fazit fällt gemischt aus


Leider spielt das Orchester der Komischen Oper unter dem Dirigat von Hendrik Vestmann zu graderaus für diese Vielseitigkeit man vermisst Tempiwechsel, Zwischentöne, Nuancen. Beeindruckender da immer wieder die Sänger, vor allem Cornelia Zink als Marianne: Voller Stimmgewalt lässt sie in seelische und gesellschaftliche Abgründe blicken, schreit ihre Verzweiflung förmlich heraus und wirkt auch ganz im Stillen. Großes Kino etwa die Szene, wie sie mit ihrem geliebten Alfred im Auto sitzt, als Geisterfahrer im gelbschwarzen Manta auf der schemenhaften Projektion der Berliner Stadtautobahn unterwegs: Wie sie da hinter der Windschutzscheibe gestikuliert, wie sie lacht, neckt, streitet, leidet. Bedrückend, wenn sie dann die Donau so blau besingt, barbusig, die Hüfte kreisend, entblößt vor den Männern und in ihrer Verlorenheit die Verlogenheit der ach so anständigen Gesellschaft demaskierend.


Bedrückend auch, weil dieses Drama einer alleinstehenden Frau mit ihrem unehelichen Kind einerseits sicher ein Drama von gestern ist. Und doch: In Zeiten, in denen reaktionäres Gedankengut und selbsternannte Wächter über die Kultur und Moral des christlichen Abendlandes mehr werden, ein bisschen auch von heute.



Stand vom 23.05.2016