Ein Trampolinspringen auf wenigstens fünf Ebenen der Realität, das schwindlig macht. Mit 15 Rollen, die sich sechs exzellente Darsteller teilen. Man könnte "Bruno Schulz: Der Messias" von Malgorzata (Margarete) Sikorska-Miszczuk, Übersetzung Olaf Kühl, abtun als Theater für Literarhistoriker, Abtlg. Galizien, oder für Wiens polnische Gemeinde. Doch diese mitteleuropäische Kleine-Welt-Clowneske mit historischen und fiktiven Charakteren, halb Schulfunk und halb Gedenkdienst, ist nicht nur Satire auf den Nationalstolz staatlicher, diesfalls polnischer Kulturbürokratie, die den verschollenen Roman mit dem Heilsverheißungstitel bergen will – aber dadurch zerstört.

Eine Tragödie wird rekonstruiert, die sich nach David Grossman – der am Sonntag in Frankfurt den Friedenspreis entgegennahm – in dem Satz kristallisiert: Erschießt du meinen Juden, erschieß ich deinen Juden.

Der Dichter und Zeichenlehrer Bruno Schulz wurde 1942 im Ghetto der heute ukrainischen Karpatenstadt Drohobycz ermordet. Die beiden damals konkurrierenden SS-Leute stellt der junge Warschauer Regisseur Michal Zadara als ewige Nazis auf die von Magdalena Musial als Archivverließ dekorierte Bühne. Den einen in einem hinreißenden Kabarettsolo in SS-Uniform (Max Mayer), den anderen im Lodenrock Marke Altaussee (Steffen Höld).

Lachen am falschen Platz

Dass der "polnische Herrgott" 1942 das todbringende Projektil ein volles Jahr anhält, damit Schulz sein Werk vollenden kann, ist der Borges-Erzählung "Das geheime Wunder" entlehnt. Doch hier zaudert der Dichter (ebenfalls Höld), die Frist zu nützen, und versinkt im Chaos herumwirbelnder Schriftblätter und Zeichnungen. Bis er tot niederfällt und nicht mehr aufsteht – was ihm zu Beginn des 100-Minuten-Abends siebenmal gelingt und zu billigem Lachen reizt.

Während die Manuskriptsuche mit geheimdienstlicher Akribie und wissenschaftlicher Wichtigmacherei abrollt, wird an den Dichtern die "Mythologisierung der Wirklichkeit" ausprobiert. So nannte Schulz sein poetisches Programm. Kommt der "Messias"?

Für die ebenfalls von Max Mayer gegebene Figur des Jerzy Ficowski (1924–2006), der Schulz-Texte bewahrte und edierte wie Max Brod jene von Kafka, wäre die Auffindung des Manuskripts die Erlösung nach Jahrzehnten des Bangens und Hoffen. Messianische Verheißung mischt sich mit Gral-Suche.

Die Warschauer Autorin, Jahrgang 1964, wagte Spitzen gegen die Nachbarn in Kiew und Prag (wo man sich seinen Kafka nicht durch Schulz aus der Imageskala kippen lassen will). Und zeigt sich selbst auf der Bühne in ihrem Ringen um die dramaturgische Linie mit einer ebenso erfundenen Regisseurin: Will man auf ein Holocaust-Drama oder eine literarische Schnitzeljagd hinaus? In dieser Rahmenhandlung bilden sich redliche (und berechtigte) Zweifel an der Tauglichkeit des ganzen Projekts ab.

Seit 2008 gibt es die "Die Zimtläden", das Hauptwerk, in einer von Zweisprachlern gepriesenen Neuübersetzung der in Wien arbeitenden Doreen Daume. Wer sich das dtv-Taschenbuch (mit David Grossmans Essay) leistet, wird Bruno Schulz lieben lernen – und das junge polnische Theater verstehen, das ihm Denkmäler baut.

Hans Haider

Bruno Schulz: Der Messias

Von Malgorzata Sikorska-Miszczuk

Michal Zadara (Regie)

Mit Steffen Höld, Max Mayer, Katja Jung u. a.