"Bruno Schulz: Der Messias": In der Inszenierung von Michal Zadara ist nun im Wiener Schauspielhaus am Samstag eine beklemmende, zu Herzen gehende Uraufführung gelungen

In der Mitte der Bühne (Magdalena Musial), die von Regalen mit Manuskripten gesäumt ist, steht eine große Pappfigur ohne Kopf. Sie dreht sich. Drohend streckt sie die Hand mit einer Pistole aus. Die Bühne ist stark ausgeleuchtet, sodass die Figur hinten an der weißen Mauer zwei harte Schatten wirft. Ein Mann (Steffen Höld) tastet sich an dieser Mauer entlang. Gewehrfeuer, Hundegebell. In Panik rennt der Mann über die Bühne, wird von der Figur erschossen. Immer wieder wiederholt sich dieses Szene, nur die letzten Worte des Mannes variieren: „Gott, ich schreibe den Messias“, sagt er, oder „Lass mich noch ein Jahr!“, bis sich der „polnische Herrgott“ (Max Mayer) erbarmt und statt des Mannes eine zweite kopflose Statue auf die Bühne stellt. In die Schusslinie.

Das ist der Auftakt für eine beeindruckende Schnitzeljagd. Der geheimnisvolle polnische Autor Bruno Schulz soll tatsächlich am Manuskript seines Romans „Der Messias“ gearbeitet haben, ehe er im November 1942 von SS-Scharführer Karl Günther in Drohobycz ermordet wurde. Das Manuskript ist verschollen. Die Autorin Malgorzata Sikorska-Miszczuk hat Indizien für die Existenz dieses legendären Buches gesammelt und dramatisiert.

Die Nazis als Farce.

In der Inszenierung von Michal Zadara ist nun im Wiener Schauspielhaus am Samstag eine beklemmende, zu Herzen gehende Uraufführung gelungen, mit Nicola Kirsch als Autorin, die den Stoff dramatisieren soll, Bettina Kerl als Regisseurin und Katja Jung als Unterstaatssekretärin. Sie sucht den Text zur höheren Ehre der polnischen Literatur in der Ukraine und stößt auf seltsame Sachverständige, Diplomaten, Bibliothekare (alle von Vincent Glander dargestellt). Diese 90 Minuten haben bei aller Schwere des Stoffes eine Fülle komischer Elemente. Höld und Mayer spielen nicht nur das Opfer und den lieben Gott, sondern auch Zeugen, vor allem aber Nazis. Die verzerrten Karikaturen in der Tradition Chaplins wirken besonders grausam.

Jäger und Gejagte waten durch Berge zerstreuter Manuskripte, aber der „Messias“, der bleibt ein Enigma, in diesem klugen neuen Text, der in einer packenden Regie von einem wunderbaren Ensemble lebendig wird. Wer jetzt nicht Schulz liest, ist nicht mehr zu retten.

norb

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2010)