Wien, 16. Oktober 2013.
Es sieht aus wie im Museum für Geschichte: Auf neutrale weiße Wände sind in großen Lettern Zitate projiziert, andere Originaldokumente werden über Lautsprecher verlesen. Und das Licht auf die Szenen, die zu den Schüssen Gavrilo Princips auf den Habsburger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau hinführen, stammt fast ausschließlich aus Diaprojektoren, die je nach Szene historische oder nachgestellte Fotos an die Wände werfen. Ein Diavortrag im Museum also? Der Didaktik-Look ist ein Bild dafür, was uns diese Spielzeit noch blüht. Geschichte allüberall: 2014 (und davor) wollen die Theater uns umfassend über 1914 unterrichten.

Es sind der Erster-Weltkrieg-Projekte viele. "Princip" hingegen – reingefallen! – sieht nur so aus, als wäre es eines davon. Die vom Schauspielhaus Wien stückbeauftragte bekannteste Dramatikerin Serbiens, Biljana Srbljanović, behandelt zwar das Ereignis, das für den Kriegsausbruch verantwortlich gemacht wird, erwähnt diesen aber so gut wie gar nicht. Sie erzählt aus jugoslawischer Sicht eine jugoslawische Geschichte. Auch Regisseur Michał Zadara beliebt uns zu narren: Sein Abend sieht nur nach Museum aus, zumindest vor der Pause ist er Action pur.

Sympathischer Mörder

Trotzdem gibt es was zu lernen, etwa dass Gavrilo Princip und seine Kollegen aus der Organisation "Vereinigung oder Tod" gerade mal Teenager waren, die ihren großserbischen Nationalismus in sehr unterschiedlichem Maße ernst nahmen. Die zentrale Erklärung "Wir bringen den Ferdinand um" erfolgt in einem höchst überzeugend gespielten (und riechenden!) Grasrausch: Gavrilo und sein ohnehin etwas beschränkter Komplize Nedeljko prahlen infantil kichernd mit ihren Plänen, um Abschiedsküsse des Mädchens Ljubica zu erhaschen. Es könnte auch einer dieser Schulamokläufe bevorstehen, aber es ist der große europäische Krieg.

Dass man dessen eben nicht ständig gedenkt, ist Srbljanovićs flüssigen, auf den Moment konzentrierten Szenen zu verdanken. Wo Politisches verhandelt wird, ist immer auch das Konkrete, das Private präsent. Da will Oberst Apis den jungen Danilo verführen – zum Engagement in der Widerstandsgruppe, aber in Felix von Manteuffels exaltierter Darstellung durchaus gerne auch noch zu mehr. Zadaras Schauspielführung ist eine des Hineinsteigerns, der hohen Drehzahl. "Wirf das Messer weg!", wiederholt Gavrilo, als sein Freund aus Panik Ljubica bedroht, nicht ein-, nicht zwei, sondern an die zwanzig Mal. Das hält den ersten Teil des Dramas dynamisch, gleichzeitig gelingt es Simon Zagermann bei aller Atemlosigkeit – auch Komik – stets, den trotteligen Nedeljko nicht ins Klamaukige abgleiten zu lassen, und Martin Vischer glaubt man jederzeit, wie sehr es brodelt in dem Idealisten Princip. Man sympathisiert mit ihm, dem Mörder, und das wandelt die vordergründige Verdaulichkeit von Dialog und Regie in einen flauen Magen um.

Bedeutungsschwerer Klangteppich
Die 15-jährige Ljubica mit Nicola Kirsch zu besetzen, die deutlich älter ist als die Jungs, wirkt inkonsequent, erweist sich dank Kirschs filigraner, leicht distanzierter Spielweise aber als Stärke. Ljubica kommt im Zuge des Attentats selbst ums Leben. Übrig bleiben die Männer, und die versuchen sich nach der Pause noch an einer Art Requiem auf sich selbst. Dazu sucht der tote Mitkämpfer Danilo jeden seiner inhaftiert dahinsiechenden Freunde als Geist heim, sowohl in Gestalt des Schauspielers Gideon Maoz als auch in einer seltsam elegischen Videoanimation, die langsam den Arm hebt und Absolution erteilt. Danilo hört den Gefangenen beim Lamentieren zu ("Dieses Grab ist mir zu klein", beschwert sich etwa titelgebend Apis) und schildert ihr jeweiliges Ende: Jenes von Princip erfolgte 1918 durch Knochentuberkulose.

Während Zadara vor der Pause einem starken Dialogstück die freie Entfaltung ermöglichte, versucht er danach, mit Barbara Wysockas bedeutungsschwerem Klangteppich zu übertönen, dass der Text eben nicht mehr so gut funktioniert und einen Bogen ins Später nicht so ohne Weiteres zu spannen vermag, obwohl er es doch gerne würde, wie ein Zitat des 2003 ebenfalls ermordeten serbischen Premiers Đinđić andeutet. Beim letzten Ruf Princips schreckt man am Höhepunkt des Pathos aus der Eingelulltheit hoch. "Und unsere Gräber werden zu Europa sagen: Der Jugoslawe muss seine Freiheit erringen!", schreit da eine Figur, die in Bosnien und Serbien lange noch als Held gefeiert wurde. Was soll uns dieses Ende sagen? Verstört entlässt es uns aus einem Abend, der am aufschlussreichsten war, solange er eben nicht versuchte, ein Lehrstück zu sein.